B. Was man nicht verwechseln soll

Elke sah den Blitz, hörte den Donner und hielt den Atem an. Sodann ent­fuhr es ihr: "Jetzt bin ich aber erschreckt!" Ich verbesserte: "Erschrocken!" Darauf klagte sie: "Sei doch nicht so ein Pedant! Ob es nun erschreckt oder erschrocken heißt ... Du siehst doch, der Donner hat mich erschrocken!". Nachdem sich Elke von dem Schreck etwas erholt hatte, erklärte ich ihr,


 




dass "erschrecken"zweierlei Bedeutung haben kann: entweder zielend (transitiv) jemanden erschrecken,jemanden in Schreck versetzen oder nichtzielend (intransitiv) in Schreck geraten. Das zielende Verb (jemanden in Schreck versetzen) wird schwach gebeugt, d. h. der Stammvokal e bleibt unverändert: ich erschreckedich, erschrecktedich, habedich erschrecktBeim nichtzielenden "in Schreck geraten" muß ich dagegen stark beugen, d. h. der Stammvokal wechselt: ich erschrecke, erschrak, bin erschrocken.

Mein Sprachgewissen hat mich immer wieder gedrängt, Belehrungen zu geben. An einem verregneten Sonntagvormittag kam einmal mein Jugend­freund Bruno mich besuchen. Sein Töchterchen Charlotta hatteden Mantel liederlich aufgehängt, das bewog(in der Bedeutung "veranlassen" starke Beugung) Bruno zu dem Tadel: "Aber, Charlotta, wie unordentlich hast du deinen Mantel aufgehangen!" Ich sprang helfend bei und dozierte: "Vorhin hingdein Mantel liederlich über dem Bügel; sieh an, so hater gehangen."Zu Bruno flüsterte ich schnell: "Nichtzielendes, intransitives Verb! Darum starke Beugung!" Bruno schwollder Kamm, ein heftiger Zorn schwellteihm die Brust, aber ich fuhr gleich fort: "Jetzt hänge ich deinen Mantel or­dentlich auf,ich hängteihn auf, ich habihn aufgehängt!"

Diese Belehrung bewegteBruno innerlich so heftig, dass er gesonnen (gewillt) schien, mir eine runterzuhauen, obwohl er mir sonst immer wohl­gesinnt(mir gewogen) war. Eine Träne des Zorns quollihm aus den Augen (dagegen: Der Brauer quelltedie Gerste), er schnobheftig durch die Nase (dagegen: Ich schnaubtemeine Nase) und schrie mich an: "Hör bloß auf! Ich bin solche Spiegelfechterei nicht gewöhnt!" - "Gewohnt!"verbesserte ich. - "An solche Spiegelfechterei nicht gewohnt!" gellte Brunos Stimme noch lauter. Ganz demütig erläuterte ich: "Man ist etwas gewohnt,aber an etwas gewöhnt!"

Bruno ist Ingenieur, und ich fragte ihn eine halbe Stunde später, ob Anode und Kathode dasselbe sei. Da sprang er vom Sessel auf: "Du bist wohl verrückt! Das sind doch zwei ganz verschiedene Begriffe!". Als ich es geschafft hatte,Bruno wieder zu beruhigen (dagegen: Goethe hat viele bedeutende Werke geschaffen),gab er kleinlaut zu, dass man auch in der Sprache unterschiedliche Begriffe nicht vermengen soll.