SPRACHENSTERBEN

Die Globalisierung hat das historische Phänomen noch beschleunigt

1. Heute beklagen Wissenschaftler eine drastische Zunahme des Sprachensterbens. Im 21. Jahrhundert wird nach Schätzungen von Linguisten 1/3 der momentan noch lebenden Sprachen verschwinden; Pessimisten prophezeien sogar, dass 9/10 davon für immer verstummen. Allein im letzten Jahrhundert erloschen in Europa mindestens 12 Sprachen. Experten vermuten, dass es inzwischen weltweit alle 14 Tage eine Sprache weniger gibt.

2. Die Eroberungsfeldzüge europäischer Mächte seit dem 16. Jahrhundert hatten zum ersten rapiden Rückgang der kulturellen und damit auch der linguistischen Vielfalt geführt: Mindestens 15 Prozent der bis dahin existierenden Sprachen fielen ihnen zum Opfer. So sind in Australien heute nur noch 20 Sprachen lebendig, 1788 waren es noch 250.

3. Das Sprachensterben hat überwiegend politische Hintergründe. So ist etwa das Tasmanische durch einen Völkermord ausgelöscht worden. Das Alt-Ägyptische verschwand nach dem Niedergang des Pharaonenreiches, allerdings ganz allmählich. Zumindest zu Marginalisierung und Gefährdung von Sprachen führt oft auch nationalstaatliche Zentralisierung; Beispiele dafür sind das Baskische, das Irische oder das Kurdische. Bisweilen ist die Beherrschung einer Verkehrssprache verbunden mit so hohen wirtschaftlichen Vorteilen, dass Eltern ihre Kinder lieber in der fremden statt in der Muttersprache aufziehen – wie zum Beispiel bei den Dahalo sprechenden Kenyanern, deren Kinder heute hauptsächlich Suaheli lernen.

4. Eine neue Gefahr für die Vielfalt stellt die Globalisierung dar: Sie wird nach Ansicht von Experten vor allem jene Sprachen treffen, die weniger als 1 000 Menschen benutzen; auf Neuguinea allein soll es, obwohl das Land nur 4,6 Millionen Einwohner hat, rund 1 000 verschiedene „Zungen“ geben. Eine enorme Zahl, wenn man bedenkt, dass weltweit ungefähr 6000 Sprachen bekannt sind. Die Hälfte davon wird von weniger als 10 000 Menschen beherrscht. Linguisten vermuten, dass in Zukunft mindestens 100 000 nötig sein werden, damit eine Sprache überleben kann.

5. Die Wissenschaftler schätzen, dass jeder zweite Erdbewohner im Alltag eine der neun in der Welt am weitesten verbreiteten Sprachen anwendet. Spitzenreiter ist Mandarin, Muttersprache von 885 000 000 Chinesen.

6. Dennoch ist es das Englische, das im Zuge der Globalisierung die Welt erobert. 1919 hatte es US-Präsident Woodrow Wilson als zweite Vertragssprache neben dem Französischen für den Versailler Vertrag durchgesetzt. Seitdem ist sein Vormarsch unaufhaltsam: 2 000 000 000 Menschen sprechen inzwischen Englisch.

7. Doch trotz der überragenden Bedeutung in Diplomatie, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Medien ist auch diese Weltsprache stetem Wandel ausgesetzt: So unterscheiden sich die Idiome in den USA, Australien, Nigeria oder Jamaika in Vokabular, Grammatik und Aussprache zum Teil schon beträchtlich vom „Oxford English“. Und bereits am Beispiel des Lateinischen hat sich gezeigt, dass die weite Verbreitung einer Sprache zu ihrer Auf-und Ablösung durch neue führen kann.