Nach Puschkin zu erkundigen

1. Gerade 1880 wurde auf dem Twerskoi Boulevard der bronzene Puschkin, eine Arbeit des Bildhauers A. Opekuschin, errichtet. Das Denkmal für den großen Dichter in der Mitte Moskaus ist an und für sich eine bemerkenswerte Tatsache, doch für den Kleinbürger, der Puschkin nicht kannte, vielleicht schon vergessen hatte, gewinnt er eine weitere unerwartete Bedeutung. Die Seele des einfachen Menschen lechzte nach Wundern, also musste derjenige, dessen Andenken durch den Staat so urplötzlich und markant verewigt wurde, eine überaus ungewöhnliche Person sein. „Einem schlechten Menschen wird kein Denkmal gesetzt“, urteilte man in Schenken und Küchen, dem Poeten wurden mit Leichtigkeit Verdienste auf Gebieten zugeschrieben, die mit Literatur nichts zu tun hatten, von Städtebau bis zur Gesetzgebung.

2. Die Geschichten umfassten Puschkins gesamte Lebensperiode: Herkunft, Jugend, Leben „zum Wohl des Vaterlands“, Versionen seines Todes, wobei letztere oft an Nacherzählungen primitiver Romane erinnerten, die in jener Zeit sehr verbreitet waren. Es kam auch vor, daß Gogol Puschkin Gesellschaft leistete. Doch war das selten. Obwohl „Taras Bulba“ in den Moskauer Kneipen genauso beliebt war wie „Die Hauptmannstochter“ (die nicht so sehr mit Puschkin als vielmehr mit dem Pugatschow-Aufstand assoziiert wurde), hatte man Gogol jedenfalls noch kein Denkmal errichtet. Also hatte er es nicht verdient.

3. Aufschlussreich ist, daß man trotz der allgemeinen Bekanntheit solcher Mären lieber nicht den Versuch unternehmen sollte, auf ihrer Grundlage ein echtes Bild über das Leben des Dichters zu entwerfen. Das mag vielleicht seltsam anmuten, aber die wahre Information über solch eine berühmte Persönlichkeit musste einfach in die untersten Schichten durchsickern. Andererseits ist das Märchen eben ein Märchen. Vielleicht kannten sogar viele die wahre Lage der Dinge, missachteten sie aber, weil sie die Schönheit der Wahrheit vorzogen.

4. Das Puschkin alles andere als einen russischen Stammbaum hatte, darin stimmten sogar die patriotischen Erzähler überein. Von Zeit zu Zeit steigerte man sich bis ins Extremste. „Puschkin hat nur einen russischen Nachnamen“, sagten sie, „nicht ein einziger Tropfen russisches Blut fließt in ihm, nur deutsches und abessinisches Blut. Sein Vater stammt von den Deutschen ab, seine Mutter ist eine Abessinierin.“ Und obwohl der künftige große Poet eher aus Missverständnis als aus Liebe zustandegekommen war, endete alles gut, denn der Zar hatte ein Auge auf den Jungen geworfen. „Er hatte verfügt, ihn auf Staatskosten zu erziehen. Die besten Lehrer, Professoren sollten angestellt werden“.

5. Puschkins Lizeumszeit und Jugend fanden in den Erzählungen kaum Widerspiegelung. Seine Bildung erhielt er ausschließlich zu Hause, wobei „er mit knapp zehn Jahren schon große Schritte machte: die ganze Professorenweisheit hatte er bewältigt, er stellte den Lehrern sogar noch Aufgaben“. In der Quintessenz blieben die Professoren hinter ihm zurück, er dagegen „… kaum herangewachsen, war er nicht mehr zu halten, er musste allem auf den Grund gehen, alles wissen. Die Lehrer konnten nur staunen und wieder die Bücher durchstöbern, ob sie noch etwas finden, was Puschkin nocht nicht wußte“. Ob sie etwas fanden, darüber schweigt sich die Geschichte aus.