Stolz der russischen Kunst

(Ilja Jefimowitsch Repin (1844-1930)

Umgeben von herrlichen Wäldern und tiefen Seen liegt der kleine finnische Ort Kuokkala. Hier schloß im Jahre 1930 einer der bedeutend­sten Maler des 19. Jahrhunderts, Ilja Jefimowitsch Repin, für immer die Augen.

I.J. Repin wurde 1844 in Tschugujew im Gouvernement Charkow geboren. Sein Vater, ein Militäransiedler, lebte in großer Armut. So hatte Repin nicht die Möglichkeit, eine seiner Begabung entsprechende Schule zu besuchen und war schon als Vierzehnjähriger gezwungen, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Da er gern zeichnete, ging er in die Lehre eines Ikonenmalers und begann bereits nach einem Jahr, selbständig Porträtaufträge auszuführen.

Schon nach einigen Jahren befriedigte ihn die Arbeit bei seinem Meister nicht mehr. Er wollte mehr lernen, und so begab er sich 1864 an die Petersburger Akademie der Künste und wurde bald danach einer der fähigsten Studenten dieser Akademie.

Hier in Petersburg nahm Repin (1877) einen engen Kontakt mit der damals in Rußland bestehenden revolutionären „Genossenschaft der Wanderkünstler" (Peredwishniki) auf. Die Grundsätze der Wander­künstler waren Realismus, Demokratie und Volkstümlichkeit der Kunst. Diese Prinzipien fanden in Repins Schaffen ihren höchsten Aus­druck.

Zu Beginn seiner Studienzeit schuf Repin das erste große Werk, „Wolga-Treidler" (auch „Wolgaschlepper", „Schiffszieher an der Wol­ga", „Burlaki na Wolge" genannt). Dieses Bild legte den Grundstein für den Weltruhm, den der Künstler noch zu seinen Lebzeiten genoß.

Bei einem Spaziergang am Ufer der Newa begegnete dem Maler einmal eine Gruppe Menschen, die sich so ganz von den übrigen Spazier­gängern unterschied. Repin schrieb darüber:

„Jedoch, was bewegt sich da auf uns zu? Dort, der so dunkle, so speckige, braune Fleck, der sich so mühsam schleppt. Oh! — Das sind Burlaki, die eine Barke treiben. Bravo, welche Ty­pen! ... O, mein Gott, warum sind sie so schmutzig und zerlumpt!... Das ist ein unglaubliches Bild."

Dieses Erlebnis machte auf Repin einen tiefen Eindruck. Er beschloß, ein Bild zu malen. Alle sollten diesen Widerspruch sehen, daß im Zeitalter der Maschine Menschen eine Arbeit verrichten müssen, die sonst nur dem Vieh zugemutet wird. Er ging in die Fischerdörfer der Wolga und begann seine Studien für das geplante Werk.

In jahrelanger mühseliger Arbeit wählte sich Repin die Typen aus, die seine Aussage verlangte. Ganz besonders lieb gewann er dabei den Burlaken Kanin, der auf seinem Bild den vordersten Platz ein­nimmt. Immer wieder zeichnete er ihn. Er begleitete ihn zur Arbeit, lernte sein Leben und seine Gewohnheiten kennen und unterhielt sich mit ihm.

Als Repin im Jahre 1873 seine „Burlaki" zum ersten Male ausstell­te, da bewies sich, wie sehr die Massen ihn verstanden. In kürzester Zeit wurde sein Bild zum Lieblingswerk der Unterdrückten, denn es erfüllte sie mit Optimismus und Kraft.

In glühender Sonnenhitze schleppen Männer einen Lastkahn stromaufwärts. Es ist eine unmenschlich schwere Arbeit, der Mensch ist zum Sklaven, zum Tier erniedrigt. Wir lesen es den angestrengten Gesichtern ab. Trotzdem sehen wir in diesen Arbeitern auch ihre Kraft, die Kraft jener Menschen, die eine Generation später das Joch der ver­haßten zaristischen Herrschaft zerbrachen und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigten. Die von schwerer Arbeit gebeugten Wolgaschlepper waren für Repin die Verkörperung des ge­knechteten russischen Volkes, ebenso wie die sich aufreckende Jüng­lingsgestalt zum Symbol der unbeugsamen revolutionären Jugend.

So wurde das Meisterwerk des damals sechsundzwanzigjährigen Malers auch verstanden: als eine Anklage, als eine Kampfansage. Un­terstützt wird diese Ansage durch die vollkommene Komposition. Re­pin hat die Gestalten, diese typischen Vertreter ihrer Klasse, zu einem eindrucksvollen Ganzen gefügt. Er beschränkte sich auf einige wenige Einzelheiten der umgebenden Natur, um die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Menschen zu lenken, auf die armseligen und zerlumpten, aber dennoch stolzen und ungebeugten. Repin sah die großen Kräfte, die im Volke schlummerten und die nur geweckt zu werden brauchten.

Der Künstler löste sich in den folgenden Jahren endgültig von der unter zaristischem Einfluß stehenden Akademie der Künste, die sein erstes großes Werk eine „Profanation" der Kunst nannte.

Nach Beendigung seiner Studienzeit an der Petersburger Akademie der Künste reiste Repin zur Vervollkommnung seiner Ausbildung nach Frankreich. Er studierte im Louvre die großen Vorbilder aus der Ver­gangenheit.

Im Jahre 1883 beteiligte sich Repin in Paris an einer Kundgebung auf dem Friedhof Pere-Lachaise, die dem Andenken der Helden der Pariser Kommune galt. Er machte eine Skizze und schuf später 'das Gemälde „Versammlung vor der Kommunarden-Mauer auf dem Fried­hof Pere-Lachaise in Paris".

Nach seinem Aufenthalt in Frankreich kehrte Repin heim. Er voll­endete eine Reihe von Porträts hervorragender russischer Künstler seiner Zeit, u.a. das bekannte Bild von Mussorgski.

Repin behandelte in seiner Malerei vor allem zeitgenössische Stof­fe, doch ließ er auch die russische Vergangenheit nicht unbeachtet. In seinen Historiengemälden zeigte sich seine ungewöhnliche Begabung als Realist und Psychologe. Jedes neue Bild von Repin wurde zu einem öffentlichen Ereignis. Die zaristische Regierung verstand, wessen In­teressen der große Maler vertrat und gab sich Mühe, die Popularisie­rung der Gemälde Repins zu verhindern. So wurde sein Meisterwerk „Iwan Grosny und sein Sohn" von einer Wanderausstellung entfernt. In diesem Bild sah man mit Recht einen offenen Protest gegen die zari­stische Willkürherrschaft.

Sein künstlerisches Schaffen, das in der Nachfolgezeit immer um­fassender und vielseitiger wurde, verbreitete seinen Ruhm und seinen Protest gegen menschliche Unterdrückung weit über die Grenzen seines Heimatlandes.

Repin hat sich durch seine Werke ein bleibendes Denkmal gesetzt. Überall wird dieser große Künstler gewürdigt, dessen Schaffen die Höhen der weitbesten realistischen Maler erreichte.