Zum Geburtstag Giorgiones (1477-1510)

Angelo Walther

Als Giorgione 1510 an der Pest starb, war er wahrscheinlich 33 Jahre alt. Es gibt heute nur noch wenige, kaum mehr als ein halbes Dutzend Bilder, die ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden können. Auch der „anonyme Reisende“ Marcantonio Michiel, ein adliger Zeitgenosse des Malers aus Venedig, konnte zwischen 1525 und 1545 insgesamt nur 16 Gemälde von ihm ausfindig machen und in seinem Tagebuch notieren, und es ist daher zu vermuten, daß Giorgione in seinem verhältnismäßig kurzen Leben gar kein allzu umfangreiches Oeuvre geschaffen hat. In Castelfranco in der Provinz Treviso geboren, war er auch nur wenige Jahre von etwa 1506 bis zu seinem frühen Tode in Venedig tätig.

Dennoch hat Giorgione auf die Entwicklung der venezianischen Malerei einen außerordentlich starken Einfluß ausgeübt und mit der Hochrenaissance zugleich das „Goldene Zeitalter der Malerei“ in der Lagunenstadt eröffnet.

Giorgiones Gemälde geben zumeist Widerspiegelungen eines ruhevollen, kontemplativen Seins, das bestimmt ist durch das humanistische Ideal der völligen Einheit von Mensch und Natur. Die künstlerischen Erfindungen Giorgione entsprachen so sehr den Vorstellungen und Bedürfnissen der Zeit, daß sie von zahlreichen anderen Malern aufgenommen und verbreitet wurden und eine eigene, als Giorgionismus bezeichnete Stilrichtung hervorbrachten. Viele Maler, unter denen auch Tizian war, künden mit ihrem Werk auch den Ruhm Giorgiones. Der Giorgionismus griff auch auf andere italienische Kunstlandschaften über und blieb in manchen Zügen auch nach dem Ende der Renaissance ein Bestandteil der venezianischen Malerei.

Alle Bilder, die von der Forschung heute als Werke Giogiornes anerkannt sind, werden in den Zeitraum zwischen 1 500 und 1510 datiert. Zu den frühesten gehört das Altarbild in der Kirche San Liberale zu Castelfranco, das die Madonna mit den Heiligen Georg und Franziskus zeigt.

Eines der vieldeutigsten Gemälde ist das mit den „Drei Philosophen“ in einer Landschaft, das sich ebenfalls in Wien befindet und etwa 1507/08 datiert wird. In den Männern sind auch drei Astronomen gesehen worden, aber auch die drei Zeitalter Antike, Mittelalter und Renaissance oder die drei Lebensstufen. Am meisten Zustimmung findet die Deutung als die drei Weisen aus dem Morgenlande, die auf das Erscheinen des Sterns warten. Es zeigt sich, daß Giorgiones Bilder voller Rätsel sind; vielleicht wurden sie von einer eingeweihten Minderheit verstanden, aber vielleicht blieb ihr Sinn auch den Zeitgenossen dunkel, zumal selbst Vasari über die Fresken am Kaufhaus der Deutschen schreibt: „Ich für mein Teil habe sie niemals begriffen, noch auf Fragen, was denn darauf sei, jemanden gefunden, der sie verstand“. Mögen manche Darstellungen der Phantasie des Malers entsprungen sein, so wird die Forschung doch nicht aufhören, sich um ihr Geheimnis zu bemühen.

Das Bild mit der „schlummernden Venus“ in der Dresdner Galerie wurde bekanntlich nach Giorgiones frühem Tod von Tizian vollendet, der damals selbst noch ganz unter Giorgiones Einfluß stand und darum mit großem Einfühlungsvermögen einen kleinen Amor und die abendliche Landschaft hinzufügen konnte. Immer wieder muß gerühmt werden, wie vollkommen der weibliche Akt sich mit dem von ähnlich fließenden Umrissen bestimmten Hintergrund zusammenfügt. Die Hochrenaissance ist in der Idealität ihrer Formen und Vorstellungen hier voll verwirklicht.

Wie fruchtbar das von Giorgione erfundene, alte Moralvorstellungen überwindende Aktmotiv war, beweist die Vielzahl der von ihm ausgehenden ähnlichen Darstellungen („Venus von Urbino“ Tizians in den Uffizien und das von Giorgiones Nachfolger Palma il Vecchio gemalte Bild einer ruhenden Venus in Dresden“).

Die poetische Auffassung, der Einklang der Gestalten mit der Natur in einem arkadischen Dasein, die sinnliche, aber von aller Koketterie freie Wirkung der Frauenakte, die an die Gestalt der Stillenden des Gewitterbildes erinnern können, und die Eleganz der Jünglinge, die Musikalität, die das Bild erfüllt und die das von Vasari erwähnte enge Verhältnis Giorgiones zu Lautenspiel und Gesang widerspiegelt, und nicht zuletzt die leuchtende Schönheit der weich modellierenden Farben, die von innen heraus zu glühen scheinen: all das ist Erbe Giorgiones, das die venezianische Malerei noch lange mitbestimmen sollte

(„Bildende Kunst“)