Strittige Fragen innerhalb des deutschen Konsonantismus

Zu den strittigen Fragen innerhalb des deutschen Konsonantismus gehören:

1) das Verhältnis zwischen Stimmbeteiligung und Spannungsgrad (Artikulationsstärke);

2) das Problem der Affrikaten;

3) das Problem des Ich- und Ach-Lautes;

4) das Problem des Ang-Lautes.

Zu 1) Das Problem des Verhältnisses zwischen Stimmbeteiligung und Spannungsgrad ist dem zwischen Quantität und Qualität der Vokale identisch. Bekanntlich werden im Deutschen besonders im Süden des Landes die stimmhaften Konsonanten für das russische Ohr praktisch stimmlos gesprochen. Die deutschen stimmhaften Konsonanten sind schwach (lenes), "weich", ungespannt, die stimmlosen dagegen sind stark (fortes), "hart", gespannt. Wenn das Merkmal der Stimmbeteiligung relativ ist, so ist das Merkmal des Spannungsgrades absolut. Daher sind derzeit die meisten Germanisten der Auffassung, daß bei der Identifizierung der stimmhaften und stimmlosen Konsonanten nicht das Merkmal der Stimmbeteiligung, sondern das des Spannungsgrades ausschlaggebend ist. Aber diese Frage bleibt bis jetzt wenig erforscht.

Zu 2) Das Problem der deutschen Affrikaten ist dem der deutschen Diphthonge identisch. Die Frage steht so, ob sie selbständige Phoneme mit gleitender Artikulation oder Phonemfolgen sind. Im letzten Fall soll man die deutschen Affrikaten als Verbindungen von einem Verschluß- und Engekonsonaten betrachten.

Die Affrikate "tsch" stellt zweifelsohne eine Phonemfolge, d.h. eine zweiphonemige Gruppe dar. Aus historischer Sicht ist sie eine Stellungsaffrikate, vgl. z.B. die Geschichte des Wortes "deutsch": ahd. diutisc, mhd. diutesch /dy:…/ oder diutsch. Also, die Laute "t" und "sch" kamen nebeneinander, nachdem der Murmelvokal ausgefallen war.

Bei den Affrikaten /pf/ und /ts/ sieht das Bild etwas komplizierter aus. Man kann ihren stellungsbedingten Charakter nicht beweisen. Also, man sollte sie zu den selbständigen Phonemen besonderer Art zählen. Doch die Experimentalphonetiker sind der Ansicht, daß die Affrikaten /pf/ und /ts/ in solchen Wörtern wie -Zahn-, -kurz-, -Apfel- sich durch nichts von solchen Stellungsaffrikaten unterscheiden, wie in den Wörtern "Kurts (Mütze)", "Abfall". Also, es gibt auch Beweise dafür, daß man sie auch als Phonemfolgen betrachten kann.

Zu 3) Bei der Betrachtung des Ich- und Ach-Lautes gehen die Meinungen der Germanisten auseinander. Die einen zählen sie zu den positionsgebundenen Varianten ein und desselben Phonems, weil der Ich-Laut vor und nach den Vokalen der vorderen Reihe gesprochen wird und der Ach-Laut - nach den Vokalen der hinteren Reihe, vgl. acht und echt. Zugleich gibt es die Meinung, daß diese Laute doch als verschiedene Phoneme gelten sollen (siehe z.B. Rajewskij). Erstens, sie korrelieren mit verschiedenen Phonemen: der Ich-Laut mit /j/, vgl. tja (tja: und tca:) und der Ach-Laut - mit dem Reibe-R, vgl. warten (vartn und vaxtn). Zweitens, der Ich- und Ach-Laut können die Wörter unterscheiden, vgl. Wicht und Wirt. Drittens, der Ich-Laut ist norddeutscher Herkunft, im Süden Deutschlands und besonders in österreich kennt man diesen Laut nicht, dort spricht man einen leicht palatalisierten Ach-Laut.

Zu 4) Bei der Betrachtung des Ang-Lautes steht die Frage, ob dieser Laut ein selbständiges Phonem oder eine positionsgebundene Variante des Phonems /n/ ist. Prof. Rajewskij ist der Auffassung, daß in der Hochlautung der Ang-Laut sicher als selbständiges Phonem gilt, denn er übt eine differenzierende Funktion aus, vgl. Ecke, Egge, Enge; in der Lautverbindung "nk" und manchmal "ng" (in den Fremdwörtern) aber sollte man den Ang-Laut als eine stellungsbedingte Variante des Phonems /n/ betrachten, vgl. Bank, Singular. Geschichtlich entstand der Ang-Laut infolge einer assimilativen Vereinfachung aus der Lautverbindung "ng", vgl. im mhd. lang (lank).